Es war einmal … im letzten Jahr saß eine kleine aber feine Runde
bei mir zusammen und stimmte sich auf die Moselfahrt ein. Und wie wir
Ruderer sind, können wir nie genug bekommen. So gehört zur
Einstimmung auf eine Fahrt immer auch schon die Überlegung, welche
Gewässer als nächstes befahren, welche Wanderfahrts-Kilometerleistungen
gebrochen werden können. Wir waren uns einig, dass es an der Zeit
sei, mal in Frankreich zu rudern. Zeitpunkt sollte der 07. bis 22. September
2002 sein.
Nun ist die Organisation einer zweiwöchigen Wanderfahrt eine Menge
Arbeit. Glücklicherweise spricht Andréa fließend Französisch,
so dass sie den Großteil der Vorbereitung übernehmen konnte
und musste. Wie beginnt man mit der Planung einer Frankreich Wanderfahrt?
Frankreich ist groß und hat viele Flüsse und Kanäle, die
befahren werden können - jedenfalls theoretisch. Unsere Wahl war
ursprünglich auf eine Fahrt über den Canal du Midi und die Garonne
bis nach Bordaux gefallen. Nun hatten wir mehrfach gehört und gelesen,
dass die Franzosen Wanderruderern einige Steine in die Wege legen: Schleusen
dürften nicht benutzt werden und ohne Schwimmwesen zu rudern hielten
die Franzosen auch für lebensgefährlich. Diverse Anrufe beim
Service Navigation und VNF (so etwas wie öffentlicher und privater
Teil von Wasserschifffahrtsämtern) brachten auch nicht mehr Klarheit.
Jeder Anruf brachte gegenteilige Auskünfte. Nur soviel stand fest:
Den Canal du Midi hätten wir höchstens vom Scheitelpunkt ab
fahren dürfen (er führt über ein Gebirge). Da diese Strecke
für zwei Wochen viel zu kurz ist, galt unser Interesse nunmehr dem
Doubs. Ein wunderschöner gewundener Fluss der aber leider auf gut
200 km etwas mehr als hundert Staustufen benötigt, um schiffbar zu
sein. Da wir eigentlich rudern und nicht bloß schleusen wollten,
kam der Doubs also auch nicht in Frage. Kurzum - unsere Wahl fiel auf
die Saône von Port sûr Saône bis Lyon und dann weiter
auf der Rhône nach Montélimar. Insgesamt knapp 530 km in
11 Rudertagen. Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, so häufig wie möglich
in Rudervereinen zu übernachten, da wir über die Sauberkeit
von südfranzösischen Campingplätzen nicht nur gutes gehört
hatten und es im September auch schon etwas früher dunkel wird.
Am Abend des 6. September machten wir uns mit dem geliehenen VW-Bus auf
den Weg: Thomas Berlin, Manuela Böttick, Markus Heineking, Mathias
Hoegen, Andréa Kohlwes, Miriam Pohlmann, Johannes Stille und Jens
Wegmann. Hamburg und Memel lagen auf dem Hänger und das Ergebnis
Thomas' künstlerischer Bemühungen prangte in den hinteren Seitenfenstern.
Nach nach knapp 12 Stunden Fahrt waren wir in Port sûr Saône
auf dem Campingplatz. So hatten wir einen ganzen Tag vor uns, um einzukaufen,
zu schwimmen, aufzuriggern und uns nach der langen Fahrt für die
kommenden Tage auszuruhen.
Der erste Rudertag führte uns über 38 km nach Soing. Auf einer
schönen Etappe durch meist flache Landschaften konnten wir den Sonnenschein
genießen und da die Saône in diesem Teil über Automatikschleusen
verfügt, war auch das Überwinden der Staustufen kein Problem.
Die einzige Hürde stellte ein Schiffstunnel dar, den wir nach unseren
Unterlagen nicht fahren durften. Direkt an der Einfahrt des Tunnels war
eine gute Umtragestelle in den wunderschönen Altarm, so dass wir
die Gelegenheit nutzten, mitten durch einen Wald zu rudern und ein Stück
Naturbelassenen Fluss zu genießen.
Die nächste Etappe nach Gray lief anfangs ebenfalls problemlos.
Doch wartete der zweite (aber auch letzte Tunnel) auf uns. Da der Altarm
ein weiteres Wehr enthielt, das wir nicht einschätzen konnten, entschieden
wir uns, trotz Verbots durch den Tunnel zu rudern. Markus und ich ließen
uns von einer freundlichen deutschen Dame auf einem Motorboot ziehen.
Der Tunnel konnte recht problemlos durchquert werden, so dass wir nach
kurzer Zeit vor der direkt hinter dem Tunnel gelegenen Schleuse zur Mittagspause
anlegten. Eine Französin mit der Aufschrift "VNF" auf ihrem
T-Shirt kam auf mich zu und fragte scharf: "Parlezvous français?"
Ich nickte und wurde zum Mitkommen aufgefordert. Mir schwante nichts Gutes.
Sie lies mich dann sämtliche Passagen aus unserer Genehmigung zum
Befahren des Flusses vorlesen, die wir soeben missachtet hatten: Schleusen
ohne Schleusenwärter, befahren eines Tunnels, rudern ohne Schwimmwesten,
Schleusen ohne Seile, …. Dann klärte sie mich auf, dass sie uns von
der Wasserschutz-Polizei vom Wasser holen ließe, wenn wir uns nicht
ab sofort strikt an die aufgestellten Regeln hielten. Ab sofort konnten
wir nur noch einige Stunden am Tag die Schleusen nutzen, da die Automatikfunktion
nicht mehr genutzt werden durfte und vor allem: Wir ruderten bei gleißendem
Sonneschein und spiegelglattem Wasser nur noch mit Schwimmwesten.
Glücklicherweise hatten wir den Vorschriften wenigstens insofern
Rechnung getragen, als wir uns vom Carolinum rudertaugliche Schwimmwesten
geliehen hatten. An dieser Stelle noch mal ein herzliches Dankeschön
an Peter Tholl dafür.
Andréa hatte in der Zwischenzeit unser Quartier im Ruderclub in
Gray begutachtet und festgestellt, dass wir leider nur vor dem Gebäude
zelten durften, da das Haus akut Einsturz gefährdet und behördlich
geschlossen war. Da am Abend dicke Regenwolken aufzogen, fuhren wir direkt
nach dem Anlegen mit dem VW-Bus weiter in unserer Quartier für die
nächste Nacht nach Auxonne. Die Boote ruderten wir am nächsten
Tag, Dienstag, dorthin. Auf einer wunderschönen Etappe mit spiegelglattem
Wasser und einer Mittagspause mitten im Wald.
Unsere Fahrt führte uns über Seurre weiter nach Chalon sur Saône,
wo nach über 200 km endlich der erste Ruhetag anstand. Endlich, weil
wir die Strömung des Flusses erheblich überschätzt hatten.
Wenigstens 3-4 km wird uns das Wasser bestimmt in der Stunde helfen, dachten
wir. Dachten wir. Doch die Strömung war auf der gesamten Saône
- selbst auf Altärmen - gleich null. Der Fluss ist so stark gestaut,
dass er teilweise mehrere hundert Meter breit wird, das Wasser sich aber
kein Stück mehr bewegt. Damit war der Ruhetag nach fünf Etappen
mehr als überfällig. Uns blieb die Hoffnung, dass die Rhône,
die rheinähnlich sein sollte, uns mit reißender Strömung
schneller ans Ziel bringen würde.
Leider musste ich an diesem Freitag mit Markus den Anhänger überführen,
so dass außer einem Spaziergang am Abend nicht mehr viel vom Ruhetag
übrig blieb.
Am Samstag folgte mit 62 km nach Macon die längste Etappe der Fahrt.
Frisch ausgeruht und mit Hilfe des guten Wetters waren wir recht früh
am Steg des Regattavereins, so dass noch genug Zeit zum gemütlichen
Kochen verblieb. Am Abend konnten wir vom Steg aus wunderschöne Bilder
der Stadt aufnehmen.
Unsere nächste Station war nach bereits 40 km Villefranche. Bereits
am frühen Nachmittag legten wir an und wurden sogar mit einem Megafon
einer Menschenmenge vorgestellt und willkommen geheißen: Der Ruderverein
hatte Tag der offenen Tür. So hatten wir zwar keinen besonders erholsamen,
aber interessanten Nachmittag: Mit weniger (Andréa) oder mehr (Matthias
und ich) gebrochenem Französisch berichteten wir französischen
Ruderkameraden über unsere Tour. Diese konnten es kaum glauben, dass
man in so schmalen C-Booten eine solche Tour fahren kann. Franzosen rudern
in der Regel entweder in Rennbooten oder großen Plastik-Ungetümen,
die dann fast unsinkbar sind. Wir durften erleben, wie die Trainingsmannschaft
des Clubs einen Wasserskiläufer über 250 m hinter einem Achter
zog und außerdem einmal die in Frankreich weit verbreiteten "Surfbretter
mit Ruderausrüstung" testen.
Der Montag führte uns über 30 km zu unserer nächsten "Rast-Station":
Lyon. Nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten, in welchem
Ruderverein wir denn nun eigentlich angemeldet waren, kamen wir in einem
Vereinshaus unter, das bewies, dass die Qualität der Französischen
Sanitäranlagen tatsächlich flussabwärts abnimmt. Als wir
jedoch die Bootshalle betraten, staunten wir nicht schlecht: Sechs Achter:
Drei "normale" Rennachter, einer aus der Anfangszeit des 20.
Jahrhunderts, eine Seegig und - ein Renn-Doppel-Achter. Acht Ausleger
an jeder Seite eines so schlanken Bootes - das hat was.
Am Ruhetag hatten wir Gelegenheit uns die schöne Stadt Lyon einmal
genauer anzusehen. Es lohnt sich wirklich, so dass wir uns geärgert
haben, nicht noch einen Ruhetag länger bleiben zu können. Ein
standesgemäßer Grillabend rundete diesen gelungenen Tag ab.
Thomas stellte seinen Fahrt-Panaché-Rekord ein und freute sich
über die lüsternen Fleischröllchen, die es sich auf dem
Rost richtig gut gehen ließen.
Der Saône mussten wir nun Lebewohl sagen. Dafür lagen noch
150 km Rhône vor uns, glaubten wir jedenfalls. Bereits an der ersten
Schleuse kamen jedoch ernsthafte Zweifel auf. Wir durften zwar schleusen,
mussten aber fast zweieinhalb Stunden warten, bis wir endlich ganz alleine
in der großen Schleuse über 14 m in die Tiefe sinken durften.
Der Schleusenkanal, der die nächsten 10 km ausmachte, war nicht nur
aufgrund seines außerordentlich guten Geruchs ein echtes Highlight,
auch die Schaumgekrönten Wellen machten uns zunehmen Sorgen.
Im weiteren Verlauf der Etappe wurde uns klar, dass die 72 km nicht zu
schaffen waren. Nicht nur, dass die Rhône ebenfalls ein stehendes
Gewässer ist. Ein Mistralwind wehte das Rhône-Tal hinauf, so
dass wir mit unseren offenen C-Booten gegen den Wind und teilweise fast
meterhohen Wellen kämpften und mit einem sehr mulmigen Gefühl
notwendige Flussüberquerungen der stellenweise 800 m breiten Rhône
angehen ließ. Gegen Mittag kam ein schwerer Bootsschaden an der
Memel hinzu. Bei dem guten alten Boot waren Spant und Querlager des Bugplatzes
gebrochen, so dass dieser freigelassen werden musste. Dankenswerte hat
Ludwig das Boot inzwischen wieder repariert, da wir die Memel ansonsten
sehr geschätzt haben.
Auf Andréa kam somit die Aufgabe zu, im Landdienst mal wieder ein
neues Quartier auszumachen, was ihr auch gelang. Nachdem wir eine weitere
Schleuse umgetragen hatten (erst lies man uns zweimal einfahren um das
Schleusen dann doch zu verbieten), kamen wir mit der Dunkelheit nach 52
km am Steg an. Obwohl der Verfall der sanitären Anlagen weiterging
und erste Hassbekundungen gegen die französische Bootshäuser
die Runde machten, hatten wir eine angenehme Nacht, da uns die Ruderer
des Vereins noch zwei große Karaffen Rotwein spendeten, so dass
die Nachtruhe gesichert war. Vielleicht sorgte der Rotwein auch dafür,
dass wir uns vornahmen, am nächsten Tag die fast 80 verbleibenden
Kilometer zum nächsten Etappenziel Valence zu rudern und dabei fünf
Schleusen und 70 Meter Höhenunterschied umzutragen.
Im Laufe der Etappe wurde uns klar, dass aufgrund des erneut starken Windes
unser Ziel nicht zu erreichen war, so dass wir an einer Schleuse aushoben
und mit dem VW-Bus das nächste Ziel ansteuerten.
Der letzte Tag war dann endlich dazu geeignet, die landschaftlich wirklich
wunderschöne Rhône richtig zu genießen. Vorbei an schroffen
Felsformationen führte der Fluss uns nach Valence. Das Umtragen der
Schleusen ist leicht zu verkraften, wenn man dafür anstelle langer
gerader Kanäle traumhafte manchmal sehr flache Altarme rudern darf.
Da wir an diesem letzten Tag früh am Ziel waren, hatten wir Gelegenheit,
mit einem Festmahl französische und deutsche Kultur miteinander zu
verbinden. Mit unserer Bierzeltgarnitur in der Bootshalle gemütlich
gemacht, machten wir uns über Filetbraten mit Kartoffeln und Rotkohl
her, um hinterher den hervorragen französischen Tafelwein und ein
Auswahl herzhafter französischer Käsesorten zu genießen.
Die Rückfahrt führte uns in zwei Tagen über Freiburg wieder
nach Osnabrück, wo wir bei gewohntem Osnabrücker Regenwetter
abluden und die Boote reinigten.
Erst legten uns die französischen Behörden diverse Steine in
den Weg und schließlich hatten wir uns in unseren Etappen verplant
und auch die Erfahrung mit französischen Sanitäranlagen dürfte
fürs erste reichen. Trotzdem war es eine schöne Fahrt. Durch
wunderschöne Landschaften ruderten wir mit einer fast immer gut
gelaunten Truppe. Und: Wir Ruderer kriegen halt nie genug. Deshalb entsteht
in unseren Köpfen bereits die Fortsetzung der Saône bis ans
Mittelmehr.
Jens Wegmann
Informationen zur Organisation und einen Wanderruderführer haben
wir unter Orgahilfe bereitgestellt.
Fotos zur Fahrt
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